Wirtschaft regional | 12. Dezember 2015
Von Tim Georg
BERUF Instrumentalpädagoge Jean-Michael Stalb betreibt mit „ARS-Violino“ eine besondere Musikschule

Instrumentalpädagoge Jean-Michael Stalb in seinem Unterrichtszimmer an der Geige ganz in seinem Element.
Foto: Georg
GIESSEN-KLEINLINDEN – Ein kleiner, schmucker Raum in einem Haus am Ende der Frankfurter Straße in Kleinlinden. An der rechten Wand hängen eine Handvoll braun lackierter und einsatzbereiter Geigen. Keine fünf Schritte davon entfernt steht ein Keyboard, davor ein eigens angefertigter Hartschalensitz, damit die Hände beim Spielen genug Freiraum haben. Einen Stuhldreher weiter steht ein Tisch mit Laptop und Blick auf den Parkettboden, eine Sitzbank, einen Spiegel und ein Notenständer. Die gesamte Einrichtung deutet auf einen Vollblutmusiker hin, der sich hier eingerichtet hat. Eine Tür weiter wird dieser Eindruck gefestigt. Bilder von Geigen und von Komponist Johann Sebastian Bach zieren die Wände des größeren Raumes. Darunter ein Klavier, rechts davon ein Drumcomputer, ein weiterer Laptop sowie eine elektronische Orgel mit handgefertigten Pedalen aus Holz. Die Passion für die Musik ist allgegenwärtig und findet ihren Höhepunkt im ersten Stock des Hauses mit der Nummer 357. Dort steht eine beeindruckende und voll funktionsfähige Pfeifenorgel. „Ein Erbstück meines Vaters“, erklärt Jean-Michael Stalb, der Bewohner des Hauses und gleichzeitig der Betreiber von „ARS-Violino“, seiner eigenen und besonderen Musikschule.
Denn anders als große Schulen, die meist Gruppenunterricht nach einem strikten Plan anbieten, verfolgt der Instrumentalpädagoge eine eigene, viel individueller Philosophie. „Ich gebe Einzelunterricht für Geige und Bratsche sowie Klavier- und Pfeifenorgel. Das gibt mir die Möglichkeit, mich auf das Können und den Charakter jedes Schülers gezielt einzustellen und gemeinsam an Fortschritten zu arbeiten. Ich kann über den Laptop die Musik der Stücke mitlaufen lassen und mich ganz auf das Spiel der Person einlassen. Es geht mir um eine persönliche Vertrauensbasis, deswegen gibt es bei mir auch keine Verträge, sondern mündliche Absprachen. Denn Musik ist eine Sprache, ein weiterer Kommunikationskanal, den jeder Mensch anders interpretiert“, beschreibt Stalb seinen Ansatz. Wobei der Begriff Schüler für ihn nicht unbedingt der richtige ist. „Ich will kein Lehrer-zu-Schüler-Verhältnis. Deshalb gibt es in meinem Unterricht auch keinen Lehrplan und schon gar keinen Stress oder Druck. Vielmehr sind es zwei Menschen die gemeinsam und auf Augenhöhe miteinander Musik machen und ich will als Mensch meine gelernten Fähigkeiten weitergeben.“
Davon hat der 48-jährige Vollblutmusiker jede Menge. Die Leidenschaft zur Musik wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt. Sein Vater war Organist und unterrichtete als Lehrer Musik und Kunst. Nach ersten zaghaften Versuchen auf dem Klavier des Vaters begann Stalb mit neun Jahren Violinenunterricht zu nehmen. „Mir war in der Oberstufe schon klar, dass ich etwas mit Musikpraxis machen will. Gegen Ende meines Studiums habe ich dann damit begonnen.“ Deshalb studierte Stalb Musikwissenschaften und Lehramt inklusive einer kirchenmusikalischen Ausbildung in Gießen. Für den Freigeist war der Lehrerberuf allerdings zu eingeschränkt, sodass er – nach bestandener Aufnahmeprüfung – am Musikkonservatorium in Frankfurt Instrumentalpädagogik mit den Hauptfach Viola und Klavier als Nebenfach studierte, und 2001 mit dem Examen abschloss. Als sein Vater nach einem Schlaganfall pflegebedürftig wurde, entschied sich Stalb, gemeinsam mit seiner Mutter, den kranken Vater zu Hause zu pflegen. Das kostete 15 Jahre lang viel Zeit und Kraft. Aber auch in dieser Zeit unterrichtete Stalb bereits kleinere Gruppen, ehe er sich im Mai dieses Jahres mit „ARS-Violino“ selbstständig machte.
„Musik ist für mich Hobby, Beruf und vor allem Berufung. Ich will möglichst viel selbst machen, kann mir als Ein-Mann-Betrieb meine Zeit unabhängig und flexibel einteilen und auf jede Person einzeln vorbereiten. Zudem erfordert es viel Geduld, Motorik und Gehör in Einklang zu bringen. Auch Kreativität braucht Zeit und eine Wohlfühlatmosphäre, die ich mit meinem individuellen Unterricht kreiere.“ Diese soziale Komponente und die Vielseitigkeit reizen den halb Franzosen, neben der Leidenschaft zur Musik, besonders. „Musikalisch ist von der Renaissance bis zur populären Musik alles erlaubt, was spielbar ist und die Fähigkeiten erlauben. Klassische Musik und Musiktheorie sind dabei der rote Faden, dem man sich nähern oder weiter davon weggehen kann. Denn nur Musiktheorie wäre auch zu langweilig. Ich hatte auch schon zwei Damen über 70, die alte Volkslieder auf der Geige nachspielen wollten. Denen habe ich dann vier Grundgriffe beigebracht, damit sie diese Lieder erfolgreich spielen konnten. Für die Kleinen habe ich extra Handpuppen, um ihnen das Geigen- oder Bratschenspiel spielend zu erklären.“
Die Liebe zur Musik, und mit seinem Wissen andere Menschen dafür zu begeistern und weiterzubringen, treibt den Instrumentalpädagogen an. Deshalb kommt es vor, dass Stalb sich noch spät abends am Herzstück seines musikalischen Hauses setzt, und sich mit dem Orgelspiel ganz der Musik hingibt oder an neuen Unterrichtsmethoden feilt.